23.01.2023
Biologische Massenvernichtungswaffen setzen Krankheitserreger als Wirkmittel ein. Derzeit sind etwa 200 Stoffe bekannt, die sich dafür eignen. Ihr Gefahrenpotenzial wurde bereits mehrmals als Rechtfertigung für eine militärische Intervention genutzt. Zuletzt im Frühjahr 2022.
Nach dem Einmarsch in die Ukraine im Frühjahr 2022 warf Russland Kiew vor, im Auftrag der USA biologische Waffen zu entwickeln. Dies sei eine der Bedrohungen, die Moskau mit seiner „Spezialoperation“ bekämpfen wolle, lautete die Rechtfertigung von Präsident Wladimir Putin. In einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates wiederholte der russische UN-Botschafter Wassili Alexejewitsch Nebensja die Behauptung, die USA betrieben in der Ukraine ein Netz von 30 Laboreinrichtungen, die gefährliche Experimente an Krankheitserregern durchführten. Tatsache ist, dass die USA mit einem Programm zur Prävention und zum Schutz vor Infektionskrankheiten biologische Forschungen in der Ukraine transparent und in Einklang mit internationalen Übereinkommen mitfinanzieren. Jedenfalls rückten die Beschuldigungen die Thematik der biologischen Kriegsführung wieder in die Öffentlichkeit und offenbarten erneut den Mangel an geeigneten Verifikationsmaßnahmen zur Kontrolle und Überwachung des Verbotes biologischer Waffen.
Krankheiten als Waffen
Biologische Waffen sind Massenvernichtungswaffen, bei denen Krankheitserreger (Pathogene) oder natürliche Giftstoffe (Toxine) gezielt als Waffe verwendet werden.
Toxine – obwohl keine biologischen Agenzien im eigentlichen Sinne – werden wegen ihrer Herkunft aus lebenden Organismen (Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen) den biologischen und nicht den chemischen Waffen zugeordnet. Folglich sind sie auch nicht durch die Chemiewaffenkonvention reglementiert. Gegenwärtig sind etwa 200 mögliche Pathogene und Toxine bekannt, die sich aufgrund ihrer Eigenschaften als biologische Waffe eignen könnten. Pathogene, hauptsächlich Bakterien und Viren, verursachen Infektionskrankheiten bei lebenden Organismen
(Menschen, Tiere, Pflanzen) – Toxine verursachen Vergiftungen der betroffenen Organismen.
Bio- und Toxinwaffenkonvention
Die 1975 in Kraft getretene Bio- und Toxinwaffenkonvention (BTWK) verpflichtet alle 184 (Stand: Mai 2022) Vertragsstaaten in Artikel I „… mikrobiologische oder andere biologische Agenzien oder – ungeachtet ihres Ursprungs oder ihrer Herstellungsmethode – Toxine, von Arten und in Mengen, die nicht durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind, sowie Waffen, Ausrüstungen oder Einsatzmittel, die für die Verwendung solcher Agenzien oder Toxine für feindselige Zwecke oder in einem bewaffneten Konflikt bestimmt sind, niemals und unter keinen Umständen zu entwickeln, herzustellen, zu lagern oder in anderer Weise zu erwerben oder zu behalten.“ Die Vertragsstaaten sind laut Artikel II verpflichtet, die in ihrem Besitz befindlichen biologischen Waffen sowie zu deren Einsatz vorgesehene und verwendbare Trägersysteme zu vernichten.
Der Einsatz von biologischen Waffen wird zwar nicht explizit verboten.
Doch die Bestimmungen des Genfer Protokolls von 1925, das die Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege verbietet, werden unterstrichen. Die Konvention von 1972 verpflichtet alle Vertragsstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet eigenständig die notwendigen Umsetzungsmaßnahmen zu ergreifen (Artikel IV). Schließlich wird in Artikel X die internationale Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung von biologischen Sub-
stanzen zu friedlichen Zwecken vereinbart.
Verbot ohne Kontrolle
Die Lücken des Vertrages der BTWK bestehen darin, dass die Arbeit mit biologischen Mikroorganismen und Toxinen, die als Waffen verwendet werden könnten, explizit erlaubt ist, solange diese „durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt“ ist. Auf diese Weise könnte die Schutzforschung auch zur Entwicklung von biologischen Waffen missbraucht werden.
Ein weiteres Problem ist, dass im Unterschied zu den Verträgen über das Verbot von chemischen Waffen oder über nukleare Abrüstung weder eine Organisation noch ein Mechanismus festgelegt wurde, womit die Einhaltung des Vertrages kontrolliert werden könnte. Bei Verdacht auf Zuwiderhandlung durch einen Vertragsstaat kann allerdings der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angerufen werden, der eine Untersuchung durchführen kann.
Ein gravierender Mangel des Vertrages besteht im Fehlen von geeigneten Verifikationsmechanismen.
Seit 1994 werden Verhandlungen über ein entsprechendes Überwachungsregime geführt. Die Einigung auf einen wirklichen Kontrollmechanismus scheiterte 2001 an der Ablehnung durch die damalige US-Administration. Die Überprüfungskonferenzen der BTWK finden in einem Fünfjahresrhythmus statt. 1986 und 1991 wurden „vertrauensbildende Maßnahmen“ beschlossen. Diese sehen vor, dass die Vertragsstaaten jährlich freiwillig Informationen über ihre biologischen Aktivitäten in zivilen Forschungs- und Produktionsstätten austauschen, soweit diese für biologische Waffen relevant sind. Insbesondere sollen Programme im Zusammenhang mit Forschung an Mitteln gegen biologische Waffen transparent gemacht werden.
Ab 2002 wurden jährliche Experten- und Staatentreffen vereinbart, um effektive Maßnahmen zur Stärkung der BTWK zu diskutieren und in die Wege zu leiten. Dieser „intersessionelle Prozess“ ist lediglich ein Diskussionsforum ohne Beschlussrechte. 2006 einigte man sich auf die Errichtung einer ständigen „Implementation Support Unit“ beim „United Nations Office for Disarmament Affairs (UNODA)“, die mit drei Personen besetzt ist.
Neben dem Schließen der genannten Lücken steht die BTWK vor zahlreichen Herausforderungen, beispielsweise der Möglichkeit des Missbrauches der rapiden wissenschaftlichen und technischen Entwicklung im biologischen Bereich, den technischen Erfordernissen im Verifikationsbereich und der finanziellen Abdeckung der sich durch die Konvention ergebenden Aufgaben.
Rückblick
Biologische Waffen sind so alt wie der Krieg selbst. Es gibt eine Vielzahl historischer Beispiele für den Gebrauch von Krankheitserregern und Toxinen zum Zweck der Gewalteinwirkung.
Zwar bot die Wissenschaft bis Ende des 19. Jahrhunderts keine validen Erkenntnisse über Ursachen, Wirkungsmechanismen, Übertragung, Ausbreitung und Gegenmaßnahmen, aber aufgrund der Beobachtung des natürlich auftretenden Seuchengeschehens und der Giftwirkungen schienen sich biologische Waffen auch für Kriegszwecke zu eignen: Zahlreiche Fälle von Giftmorden, Trinkwasserverseuchungen und -vergiftungen sind bekannt.
Im Mittelalter brachten verheerende Epidemien Feldherren auf die Idee, den Feind mit Seuchen zu bekämpfen.
Der erste große überlieferte Angriff mit biologischen Waffen fand auf der Halbinsel Krim statt. Im Jahr 1346 standen die Tataren vor der Stadt Kaffa (heute Feodosija/Ukraine), einer bedeutenden Handelsniederlassung der Genueser. Als unter den Soldaten eine Pestepidemie ausbrach, schleuderten sie Pestleichen über die Befestigungsmauern. Die Rechnung der Belagerer ging auf. Geschwächt von der Seuche kapitulierten die Verteidiger, und die Tataren eroberten die Stadt. Pestinfizierte Einwohner Kaffas flüchteten mit Segelschiffen nach Genua, Venedig und in andere Mittelmeerstädte. Einige Historiker vermuten, dass dies die Ursache für die katastrophale Pestepidemie war, die im 14. Jahrhundert ein Drittel der Bevölkerung Europas dahinraffte.
Erst die Entdeckung der Bakterien im späten 19. Jahrhundert ermöglichte es, Krankheitserreger und deren Anwendungsmöglichkeiten als biologische Waffen systematisch zu erforschen.
Im Ersten Weltkrieg besaßen Pferde durch ihren Einsatz als Kavalleriepferde, Last- und Zugtiere sowie als Fleischlieferanten hohe militärische Bedeutung. Es gelang deutschen Agenten in den USA, Pferde, Maultiere und Vieh, das zur Versorgung der alliierten Truppen gedacht war, vor der Verschiffung nach Europa mit Rotzkulturen zu verseuchen. Dadurch gelang es, Truppenbewegungen sowie das Vorankommen der Versorgungskonvois erheblich zu behindern.
Die systematische Entwicklung biologischer Waffen begann während des Ersten Weltkrieges. Staatlich finanzierte offensive Programme zur biologischen Kriegsführung gab es seither vor allem in Deutschland (1915 bis 1918), der Sowjetunion/UdSSR (1918 bis 1992), in Frankreich (1921 bis 1926, 1935 bis 1940), Kanada (1925 bis 1947), Japan (1931 bis 1945), Großbritannien (1940 bis 1956), im Irak (ab 1975), in Südafrika (1981 bis 1995) und in den USA (1941 bis 1969).
Bekanntheit erhielt die japanische „Einheit 731“, eine geheime Einrichtung der Kwantung-Armee in der besetzten Mandschurei, die biologische (und chemische) Waffen erforschte, erprobte und einsetzte.
Die Einheit war an den Kriegsverbrechen der japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg beteiligt, darunter auch mit Experimenten zur Wirkung biologischer Waffen an lebenden Menschen. Bei diesen Versuchen wurden schätzungsweise 3 500 koreanische und chinesische Zivilpersonen sowie sowjetische Kriegsgefangene getötet. Außerdem wurden in den Jahren 1940 bis 1942 mindestens sechs Feldversuche mit Krankheitserregern unternommen, darunter Milzbrand und Pest, die mehreren tausend Menschen das Leben kosteten. Mit Kriegsende 1945 zerstörte die japanische Armee die Produktionsstätten in China und ließ dabei mit Pest infizierte Ratten frei, die in den Provinzen Heilongjiang und Jilin eine Epidemie mit über 20.000 Todesopfern verursachten.
Gruinard Island
Traurige Berühmtheit erlangte die schottische Insel Gruinard aufgrund britischer Tests von biologischen Waffen (Milzbrandbomben)
Diese Insel galt für etwa 50 Jahre als unbewohnbar. Nachdem „Gruinard Island“ 1990 wieder für „sicher“ erklärt worden war, kehrten 1992 die ersten Bewohner auf die Insel zurück.
Kalter Krieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg unterhielten vorerst zumindest die USA und die UdSSR Offensivprogramme zur biologischen Kriegsführung. Die USA stützten sich dabei auf die Erkenntnisse des ehemaligen Leiters der japanischen Einheit 731 und forschten in Fort Detrick und in Pine Bluff Arsenal unter anderen an infizierten Mücken, die man zur Freilassung in gegnerischem Gebiet vorsah, und entwickelten Waffen und Geschosse für den Einsatz von biologischen Waffen.
1950 versprühten zwei US-U-Boote an der Küste von San Francisco für gesunde Menschen ungefährliche Bakterien (Serratia marcescens), um herauszufinden, wie viele Bewohner sich damit infizieren würden.
In den 1960er-Jahren wurden derartige Pathogene auch im U-Bahnnetz New Yorks oder von Schiffen aus auf Küstenabschnitte ausgebreitet. 1969 ließ Präsident Nixon das Programm einstellen. Die Forschungszentren wurden entweder umfunktioniert oder geschlossen. Die Vernichtung der Bestände dauerte bis 1972.
Das sowjetische Offensivprogramm profitierte ebenfalls von den japanischen und den deutschen Forschungen während des Zweiten Weltkrieges.
Ab 1973 haben 50.000 Wissenschaftler in 18 nominell zivilen Einrichtungen unter dem Projektnamen „Biopreparat“ Milzbrand, Ebola, Pest, Q-Fieber, Pocken und anderes für die biologische Kriegsführung erforscht und entwickelt. Es war der größte Produzent von waffenfähigem Milzbrand in der Sowjetunion und führend in der Entwicklung neuer biologischer Waffentechnologien.
Ein Zentrum der sowjetischen Forschung war die heute verlassene Stadt Kantubek auf der ehemaligen Insel der Wiedergeburt im Aralsee, der mittlerweile ausgetrocknet ist.
Aufgrund der Verseuchung der Umgebung infolge der Biopreparat-Aktivitäten wird befürchtet, dass heimische Tierarten die übriggebliebenen Krankheitserreger verbreiten könnten.
Unfälle
Im Zuge der Produktion biologischer Kampfstoffe dürfte es auch einige Unfälle gegeben haben. Der prominenteste ist die Freisetzung von Anthrax-Sporen in Swerdlowsk (biologische Kampfstoffproduktionsstätte für Milzbrand) im Jahr 1979. 1983 startete die südafrikanische Apartheidsregierung das biologische Waffenprogramm „Project Coast“, bei dem auch an sogenannten ethnischen Waffen, die ausschließlich Schwarzafrikaner erkranken lassen sollten, geforscht wurde.
Auch der Irak unterhielt ab 1987 ein Programm zur Produktion biologischer Waffen. Die vorhandenen Bestände an Botulinumtoxin, Milzbrand und Aflatoxin wurden ab 1991 unter Kontrolle der Vereinten Nationen vernichtet. 2001 gab es mehrere Krankheits- und Todesfälle durch die Freisetzung von Milzbranderregern aus Briefen oder Päckchen in den USA. Dies löste weltweit Furcht vor bioterroristischen Anschlägen aus. In Österreich leistete das Bundesheer mit mehr als 400 Anthrax-Einsätzen Assistenz. Spätestens seit diesen Vorfällen wurde der „Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen“ eine akute Problematik.
Einsatz
Es gibt viele Erklärungen, warum biologische Kampfstoffe bislang nur selten eingesetzt wurden. Dazu zählen einerseits die Unwägbarkeiten der Waffenwirkung, der Mangel an Schutzmöglichkeiten für die anwendende Kriegspartei und die vielen Unzulänglichkeiten der biologischen Kampfstoffe selbst.
Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz biologischer Waffen ist deren unmittelbare und rasche Applikation in einen Zielorganismus. Der wirkungsvollste und wahrscheinlichste Infektionsweg für einen Angriff mit biologischen Waffen erfolgt über Aerosole.
Die Stoffe können so mittels Sprühvorrichtungen oder Explosionssprengkörpern ausgebracht werden.
Andere Infektionsformen (Tröpfcheninfektion, orale Aufnahme oder Kontaktinfektionen) sind zwar möglich, aber wenig effizient. Eine indirekte Infektion kann über Vektoren (Tiere bzw. Insekten, die eine Krankheit auf Menschen übertragen) oder mittels Einbringung in die Nahrungskette (z. B. durch Trinkwasserverseuchung) erfolgen.
„Klassische“ B-Kampfstoffe
Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) stellten eine Liste zusammen, die potenzielle biologische Kampfstoffe je nach Verfügbarkeit, Letalitätsrate, Ansteckungsgefahr und Behandlungsmöglichkeit in drei Kategorien unterteilt.
Kategorie A
Hierzu zählen Erkrankungen, die ein Problem für die Sicherheit von Staaten darstellen, leicht verbreitet beziehungsweise übertragen werden können und eine hohe Letalität besitzen.
Zu diesen Erkrankungen zählen Pocken, Pest, Milzbrand und hämorrhagische Fieber wie auch die Toxine Botulinustoxin, Rizin und Aflatoxin.
Eine mit Pocken infizierte Hand.
Kategorie B
Erreger dieser Kategorie sind relativ leicht zu verbreiten, haben eine mittlere Letalitätsrate und können leicht eingedämmt beziehungsweise überwacht werden. Coxiella burnetii (Q-Fieber), Brucellen oder Burkholderia mallei (Rotz) zählen zu dieser Gruppe.
Kategorie C
Hierzu gehören leicht verfüg- oder erwerbbare Pathogene mit einer geringen Letalitätsrate oder Erreger mit hoher Letalitätsrate, die jedoch entweder schwer übertragbar oder kaum verfügbar sind, aber auch jene, die zwar gefährlich sind, aber einfach behandelt werden können. Unter diese Kategorie fallen beispielsweise das Gelbfieber-Virus oder multiresistente Mycobacterien (Tuberkulose).
Weiteres Ergebnis ist eine Liste mit den zwölf Pathogenen (Bakterien und Viren) und Toxinen, die sich am ehesten als biologische Kampfstoffe eignen. Diese zeichnen sich durch ihre leichte Verbreitung, ihre einfache Übertragung oder auch nur durch ihre hohe Letalitätsrate aus. In Anlehnung an chemische Kampfstoffe wurde die Liste auch als „dreckiges Dutzend“ bekannt.
Im Bereich der Tierseuchen veröffentlicht die Weltorganisation für Tiergesundheit (Office International des Épizooties, OIE, seit 2022 World Organisation for Animal Health, WOAH) in Paris eine vergleichbare Liste mit den gefährlichsten Erregern von Tierseuchen.
Humanpathogene Beispiele
Pocken oder Variola
Sie sind eine durch Viren (Variola major) verursachte Infektionskrankheit, die seit Jahrtausenden bekannt ist. Das Virus wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt, Pockenepidemien gab es in Europa noch bis in die 1970er-Jahre. Nach einem weltweiten Schutzimpfungsprogramm gelten die Pocken seit 1980 als ausgerottet. Seither gibt es offiziell nur noch zwei Orte, an denen Pockenviren lagern, nämlich in der USA im Forschungszentrum der Seuchenbehörde CDC in Atlanta und in ihrem russischen Gegenstück VECTOR in Kolzowo. Etwa zehn Viren genügen, um nach einer Inkubationszeit von sieben bis 14 Tagen eine Infektion auszulösen. Ihre Eignung als biologische Waffe resultiert aus ihrer hohen Infektiosität, ihrer leichten Übertragbarkeit sowie ihrer hohen Letalität (mehr als 90 Prozent bei der hämorrhagischen Form).
Milzbrand
Milzbrand (Anthrax) ist eine bakterielle Infektion der Paarhufer, die auch auf den Menschen übertragen werden kann.
Der Erreger ist ein sporenbildendes Bakterium, welches jahrzehntelang unter unwirtlichen Bedingungen überleben kann. In Form des Haut- und Darmmilzbrandes tritt die nicht übertragbare Krankheit natürlich auf, die Wirkung entfaltet sich primär aufgrund des Ausscheidens von Toxinen, die ein Absterben (Nekrose) des betroffenen Gewebes bewirken. Mit etwa 8.000 inhalierten Sporen und einer Inkubationszeit von ein bis drei Tagen kann Lungenmilzbrand verursacht werden, der als klassischer biologischer Kampfstoff gilt. Seine Eignung als biologische Waffe erhält Milzbrand aufgrund seiner leichten Produzierbarkeit, seiner langen Lager- und einfachen Einsatzfähigkeit sowie seiner hohen Letalität. Da Milzbranderreger beinahe allgegenwärtig vorhanden sind, lassen sich Erreger leicht aus der Natur gewinnen.
Rizin
Rizin ist ein Toxin, das sich im Samen des Wunderbaumes (den Castorbohnen von Ricinus communis) bildet. Für eine letale Vergiftung genügen (bei oraler Aufnahme) 0,3 bis 20 Milligramm Rizin pro Kilogramm Körpergewicht. Nach der Aufnahme einer tödlichen Dosis tritt der Tod nach 36 bis 72 Stunden ein. Rizin lässt sich leicht gewinnen, zeichnet sich durch seine hohe Letalität aus, ist aber wegen seiner fehlenden Aerosolierbarkeit nicht für einen großflächigen Einsatz geeignet. Seine Eignung als biologisches Attentatsmittel wurde beim sogenannten „Regenschirmattentat“ auf den bulgarischen Dissidenten Georgi Markow in London 1978 bewiesen.
Militärische Bedeutung
Biologische Waffen sind keine klassischen Gefechtsfeldwaffen. Die Pathogene wirken aufgrund der Inkubationszeit stark verzögert und sind nichtdiskriminierend (sie unterscheiden nicht zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung bzw. zwischen „Freund und Feind“). Deren Einsatz bedingt die Überwindung etlicher technischer Hürden, ihre Wirkung hängt auch vom Hygiene- und Immunstatus der betroffenen Organismen ab, und die epidemiologische Ausbreitung lässt sich nur schwer prognostizieren.
Denkbar sind biologische Waffen eher als strategische Waffen, weil beispielsweise humanpathogene Erreger Epidemien auszulösen vermögen, die viele Bereiche einer Gesellschaft schwächen und destabilisieren und deren Gesundheitssystem beeinträchtigen können. Zur Vorbereitung eines militärischen Angriffes eignen sie sich, wenn die Kampfkraft eines Gegners wesentlich beeinträchtigt und gleichwohl die eigenen Truppen durch prophylaktische Schutzmaßnahmen (Impfungen) geschützt werden können.
Zudem ist es kaum möglich, die entwickelten biologischen Kampfstoffe großflächig zu testen, vielfach kann man sich nur auf Erkenntnisse und Analogieschlüsse aus natürlich auftretendem Seuchengeschehen verlassen. Tier- und Pflanzenkrankheiten können massive Auswirkungen auf Nahrungsmittelversorgung und Ökonomie nach sich ziehen. Als wesentlicher Vorteil galt bislang die Komplexität des Nachweises eines biologischen Angriffes. Dieser wurde und wird allerdings durch technische Entwicklungen im Bereich der Biodetektion wesentlich verbessert. Die forensische Beweisführung, dass es sich um eine beabsichtigte Freisetzung von Krankheitserregern eines bestimmten Gegners und nicht um ein auf natürlichem Weg ausgebrochenes Seuchenphänomen handelt, ist hingegen äußerst schwierig.
Aufgrund der Notwendigkeit, einen biologischen Kampfstoff in kurzer Zeit oder direkt in einen Zielorganismus applizieren zu müssen, eignen sich biologische Kampfstoffe mehr als Attentats- bzw. Terrorwaffen. In jedem Fall ist ihre psychologische Wirkung als hoch einzuschätzen.
Entwicklungstrends
Die Entdeckung der Erbstruktur in der Mitte des 20. Jahrhunderts führte zu einer komplett neuen Einschätzung der Möglichkeiten von biologischen Waffen. Die darauffolgende Entwicklung der Gentechnologie begann Anfang der 1970er-Jahre. Mit künstlichen gentechnischen Veränderungen können die klassischen, bisher existierenden biologischen Waffen einem Re-Design unterzogen werden, das ihre erkannten Unzulänglichkeiten überwindet bzw. ausschaltet und ihre Anwendung als biologische Waffen praktikabler erscheinen lässt. Relativ einfach erscheint es, in genmanipulierten Organismen (GMO) Eigenschaften, wie Resistenz, Inkubationszeiten oder Pathogenität zu optimieren. Life Sciences und Biologie im Allgemeinen werden am Beginn des 21. Jahrhunderts von rapiden Wissens- und Technologieentwicklungen charakterisiert. Mit der sogenannten „Synthetischen Biologie“ eröffnen sich Möglichkeiten, die heute und für einen längeren Zeitraum kaum absehbar sind. Der mögliche Einsatz neuer biologischer Waffen wird sich nicht nur auf klassische Kriegsszenarien beschränken, sondern vor allem auch neue Formen von Konflikten betreffen: Verdeckte Operationen, interne bürgerkriegsähnliche Szenarien, Terrorismus, Konflikte niederer Intensität, Wirtschaftskriege und ethnische Konflikte. Im Wesentlichen wird es sich bei neuen biologischen Kampfmitteln um eine Reproduktion und Optimierung alter Erreger (Pocken, Spanische Grippe) oder auch die Synthese von neuartigen Krankheitserregern und Toxinen handeln – Entwicklungen, die man genauestens verfolgen muss.
Quelle https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/weder-freund-noch-feind